Arbeit geh(t) weg, ich komme - oder das Mysterium der Arbeitsuche
Dienstag, 11. November 2014
Arbeit geh(t) weg, ich komme - oder das Mysterium der Arbeitsuche
:


So, nun ist es also soweit.
Meine Frau sagt, wir sollten jetzt der Welt da draußen mitteilen
was man als Arbeitsuchender so alles erlebt.
Vielleicht ist es aber auch nur eine Art Ventil, um sich
von Kummer und Frust zu befreien, sich einfach mal
die Seele frei zu schreiben im ständigen Wechsel
zwischen Hoffnung und Verzweiflung.

Ich bin Anfang 50, zugegebenermaßen nicht mehr so
ganz taufrisch, aber doch durchaus noch ein nützliches
Mitglied der Gesellschaft und man verlangt ja schließlich
auch, dass ich das noch ein paar Jahre bleibe….

2009

Ich arbeite in einem mittelständischen Unternehmen,
bin ein Arbeitnehmer, wie all meine Kollegen auch.
Kein Querulant, habe mich weitergebildet bis hin zum
Industriemeister, auch innerbetrieblich habe ich jede
Herausforderung angenommen und gut gemeistert.
Dann das unvermeidliche Schlittern in die Katastrophe -
Firma insolvent und nach einer langen Odyssee bin
auch ich einer der Letzten, die die Tür hinter sich
schließen muss, zwei Wochen nach meinem 25 jährigen
Firmenjubiläum.
Das tut schon arg weh, aber ok ich bin ja kein alter
Mann und irgendwie muss es ja weiter gehen.
Schließlich gibt’s ja das Arbeitsamt, die werden’s
schon richten - dachte ich!

inzwischen 2010

Das Amt hat nichts gerichtet….
Die Aussage, die ich bekomme, so wie übrigens auch
eine Vielzahl meiner ehemaligen Kollegen, ist ‘bewerben
Sie sich und zeigen Sie Eigeninitiative, mehr können
wir hier nicht für Sie tun’. Punkt.
Halloooooo….arbeitslos melden, damit Kohle fließt und
das war’s für die?! Ja, genau so läuft das und nicht
anders!
Ich muss also umdenken.
Nun muss man wissen, dass wir hier quasi auf’m Dorfe
wohnen, mit Industrie ist da schonmal nicht so wirklich
üppig.
Was macht also der brave Arbeitslose, klappert alles
Umliegende ab und sammelt artig seine Absagen, wenn
es denn eine gibt.
Langsam kommt Frust auf, so habe ich mir das nicht
vorgestellt…habe ich mir überhaupt irgendwas
vorgestellt? Oder bin ich in all den Jahren so
abgestumpft, brauchte mir ja um sowas nie
Gedanken machen, war ja weit weg.
Jetzt heißt es aufwachen, auch die Familie rüttelt an
mir, ständig nur dies eine Thema….es kotzt mich an.
Aber was soll’s, ich muss.
Ich kitzele meiner Fallmanagerin, im Folgenden
Bewährungshelferin genannt, eine Fortbildung raus.
Hab mich im Vorfeld selbst darum gekümmert und
denke, dass es meine Chancen auf dem Markt
erhöhen wird.
So mache ich nun denn ein halbes Jahr lang einen
Lehrgang. Es macht Spaß, lenkt ab und motiviert.

Ende 2010

Ich habe meinen Lehrgang erfolgreich beendet, sitze
hochmotiviert zu Hause und bewerbe mich weiter….
aber nichts passiert.
Die Schlinge wird langsam ganz schön eng, das
Arbeitslosenjahr neigt sich dem Ende und dann
Hartz4….nein, ich will das nicht, nie und nimmer.
Auf’s Amt, mich ausziehen bis auf’s letzte Hemd, das
bring ich nicht.
Ich spreche mit meiner Frau, wir werden erst an unsere
Reserven gehen, die nehmen sie uns ja sonst sowieso
weg.

Frühjahr 2011

Es tut sich einfach nichts, ich bekomme hier kein
Bein an die Erde.
Wieder spreche ich mit meiner Frau, oder besser sie
mit mir, es muss eine neue Strategie her.
Arbeiten über Leiharbeitsfirmen bzw. Personalvermittler
wird nun ein Thema.
Diese Halsabschneider, Verbrecher und Sklaventreiber.
Aber was soll ich machen, ich muss was tun.
Unter diesem völlig neuen Aspekt und mit dem Fokus
darauf, sich nun auch hier anzupreisen, gibt es plötzlich
mehrere Angebote.
Ich bekomme ein einigermaßen lukratives, allerdings
für Österreich. Die Konditionen stimmen, sind viel
besser, als hier vor Ort und es ist ein großer
Arbeitgeber….ich spiele mit dem Gedanken der
möglichen späteren Übernahme, was ja nicht
ausgeschlossen ist, wenn man noch an Wunder
glaubt.
Wir fahren also hin, Frau nickt es ab und ich sage zu.
Mit einigen wenigen Habseeligkeiten im Gepäck mache
ich mich wenig später erneut hoffnungsvoll auf den
Weg, um meine Arbeit anzutreten.
Ich bin von der Leiharbeitsfirma aus in einer
spartanischen Wohnung untergebracht, gleich nebenan
der Kuhstall, aber egal ich will ja arbeiten.
Meine Frau hat darauf bestanden, dass ich meinen PC
mitnehme, ganz wichtig hat sie gesagt, und sie wusste
warum.
Lange Rede, kurzer Sinn, alles ist Schall und Rauch,
nichts so, wie versprochen und das geht jetzt an
die Substanz.
Hunderte Kilometer von zu Hause weg, alles stellt
sich als übelste Scheisse heraus und du hängst da.
Meine Frau sieht mich am zweiten Tag über Skype,
mich und meine Unterkunft im Hintergrund und sagt
mir ‘entweder schmeißt du morgen die Brocken hin
und kommst von selber nach Hause oder ich hole
dich aus dem Sterbezimmer da raus’.
Ok, das ist eine klare Ansage, aber irgendwie hat
sie ja recht.
Ich fühle mich mies, sehe schlecht aus, es geht mir
kurzum nicht gut hier.
Arbeiten ja, aber nicht um jeden Preis….noch nicht.
Also fahre ich am nächsten Tag wieder heim, Schluß,
Ende aus mit Österreich.
Wieder zu Hause und vom Erlebten erholt plänkelt
bewerbungstechnisch weiter alles so vor sich hin.
Ich unternehme noch einen Versuch bezgl. Arbeit
im Ausland.
Ich stelle mich bei einem Personalvermittler vor, der
mich grenznah in Holland unterbringen will, aber
auch das zerschlägt sich.

Sommer 2011

Es geht nicht mehr, wir sind restlos blank.
Der Weg zum Sozialamt ist nun unvermeidlich.
Also los. Es ist gar nicht soooo schlimm, wie ich
dachte, aber irgendwie schon schlimm.
Es ist Routine für die Mitarbeiter dort und ich bin nur
einer von vielen, gehe unter in der Menge.
Alles geht recht zügig und es kommt Geld ins Haus.
SOZIALHILFE - HILFE!
Nein, ALGII ist es ja jetzt, aber das macht es auch
nicht besser.
Meine Frau hat einen kleinen Minijob und verdient
ein paar Taler dazu.
Als ich ihr sage, dass sie auch eine Einladung vom
Jobcenter bekommen wird, der ja nun für uns
zuständig ist, fällt sie aus allen Wolken.
‘Wieso, ich hab doch Arbeit und du bekommst Hartz4’
sagt sie……nee, Schätzelein, das ist Familien Hartz4,
ich kläre sie auf, sie heult.
Die Einladungen lassen auch nicht lange auf sich warten
und wir bekommen gnädigerweise einen gemeinsamen
Termin, den wir hier bei uns im Ort wahrnehmen können.
Bei mir geht es seinen Weg, es wird gesagt, was
gesagt werden muss, bürokratisch korrekt und fertig.
Dann ist meine Frau dran.
Der Typ sagt ihr, dass ihre Arbeit in einem geringfügigen
Beschäftigungsverhältnis null und nichtig ist und man
bestrebt sei, sie nun in ein versicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis zu bringen.
Sie guckt und ich habe Angst, dass ihr gleich die
Augen aus dem Kopf fallen.
Der nette junge Mann sagt ihr weiterhin, sie müsse
umgehend zu einer Maßnahme, einer speziellen da
ü50, ein Bewerbungstraining soll es sein.
Nun macht meine Frau das erste Mal den Mund auf
seit wir hier sind und ihre Augen werden schlitzförmig.
Sie merkt an, dass sie gelernte Bürokauffrau ist und
durchaus nicht unerheblich bei der Gestaltung meiner
Bewerbungsmappe mitgewirkt hat.
Als Reaktion des Gegenübers kam, ‘alternativ können
wir Ihnen noch was beim Bauhof anbieten, aber
vielleicht sind sie mit dem Bewerbungstraining doch
besser bedient’. - Baff
Mit den neuen Erkenntnissen raus aus der Amtsstube
und erstmal runterfahren.
Meine Frau hat es übrigens geschafft, nicht an
einer Maßnahme teilnehmen zu müssen, wofür sie
ihren Job verloren hätte, man muss die Leute nur
mit ihren eigenen Waffen schlagen.

Herbst 2011

Endlich wieder ein Lichtblick.
Zwar über eine Leiharbeitsfirma und auch mit Hilfe
von Beziehungen habe ich einen Job im
Nachbarort.
Ich muss mich orientieren und zurecht finden, aber
das ist nicht so einfach, alles völliges Neuland.
Keine Zeit, um Arbeitsabläufe kennenzulernen, ich
werde an meinen neuen Arbeitsplatz gestellt….nun
mach mal.
Ich komme noch nicht so gut klar und werde gemobbt,
‘Leiher, mach mal hin’…..wie soll ich das schaffen?!
Ich habe noch eine Bewerbung ausstehen und werde
zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Ich überlege, was zu tun ist, entscheide mich aber
dennoch hinzufahren….ich komme in die engere Wahl.
Zwickmühle, was soll ich tun.
Leiherjob kündigen?
Egal, no risk no fun, ich habe ein gutes Bauchgefühl
und mache es.
Wie sich herausstellt auch richtig!
Ich bekomme den neuen Job und der bestehende wird
mir quasi parallel gekündigt, sie können mit mir
nichts anfangen…..so spielt das Leben!

Oktober 2013

Ich habe mich sehr gut in meinem neuen Job eingelebt.
Super Kollegen, Arbeit macht Spaß und alles läuft
rund.
Seit einiger Zeit plagen mich heftige Kopfschmerzen,
dann der Vorfall in der Firma, ich kippe um und man
bringt mich vorsichtshalber zum checkup in die
Klinik.
Alles gut sagen die da und schicken mich wieder nach
Hause, allerdings mit dem Hinweis, ich solle mich doch
bei Gelegenheit mal bei einem HNO Arzt vorstellen.
Das mache ich auch umgehend und bekomme eine
niederschmetternde Aussage….ich muss operiert
werden.
Nichts lebensbedrohliches, aber es hängt mittelbar
mit den starken Kopfschmerzen zusammen.
Was bleibt mir übrig, ich muss das über mich
ergehen lassen.
Kein leichter Eingriff haben sie gesagt, aber es wird
alles in einer OP erledigt.
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Es gab Komplikationen und ich erfahre, dass ich ein
weiteres Mal operiert werden muss, später.
Wieder mache ich mir Sorgen wegen der Arbeit.
Ende Oktober wird sich entscheiden, ob meine Firma
mich in Festeinstellung übernimmt, die Verlängerungen
sind bereits ausgeschöpft.
Mist, warum gerade jetzt krank!
Nach einigen Tagen darf ich die Klinik verlassen und gehe
mit einem schlechten Gewissen, denn die haben mir
gesagt, die Abheilungsphase wird lange dauern….
d.h. weiter krank geschrieben.
Die Übernahme steht an und dann ist da ja noch die
Tatsache, dass ich nochmal zur OP los muss….hoffentlich
geht das gut.
Meine Frau holt mich ab und bringt eine Überraschung
mit. Wir wollen gar nicht nach Hause fahren, sondern
direkt ganz spontan zu unserer Tochter, die 250
Kilometer entfernt wohnt….traue ich mir zur, freu mich!
Unterwegs dann das Gespräch, im Auto, die Beichte.
Zwei Tage nach meiner OP findet meine Frau einen
Brief im Postkasten, von meiner Firma.
Sie öffnet ihn und liest die erschütternde Nachricht, dass
man mich leider nicht übernehmen könne.
Ich bin fassungslos, die wissen doch, dass ich in der
Klinik bin, lassen im Telefonat mit meiner Frau noch
Genesungswünsche ausrichten, wie abgefahren ist das
eigentlich.
Bloß gut, dass mir meine Frau diese Post nicht
mitgebracht hat, ich kann sie verstehen und bin ihr
nicht böse.

2014

Das alte Jahr ist vergangen und ich habe mich soweit
erholt, dass ich nun meine zweite und hoffentlich
letzte OP angehen kann.
Nachdem ich nun dies alles hinter mich gebracht
habe und gesundheitlich soweit wieder auf der
Höhe bin, die seelischen Wunden lassen wir mal
aussen vor, begebe ich mich nun erneut auf
Arbeitsuche….ich weiss ja jetzt schon, wie’s geht!
Und wieder die selben deprimierenden Aussagen, es
passiert einfach nichts.
Aber was wäre das Leben, wenn es nicht manchmal
unerwartete Wendungen nehmen würde….

Sommer 2014

Meine Bewährungshelferin schickt mich zu einer
Maßnahme….ich bin gespannt.
Es soll ein Bewerbungscoaching sein und darüber
hinaus soll jeder Teilnehmer für zwei Monate in
einem Praktikum untergebracht werden.
Die Bewerbungsmappe wird also gepimpt, neue
Strukturen erarbeitet, aber wo soll ich mein
Praktikum machen?
Dann nimmt alles die besagte Wende, als mich ein
Dozent beiseite nimmt und mich fragt, ob ich mir für
meinen weiteren Werdegang nicht vielleicht vorstellen
könnte, etwas komplett anderes zu machen.
Hä, was anderes, wie jetzt??
Ich kann, was ich gelernt hab, was sonst?!
Wir führen Gespräche und ich muss erneut umdenken.
Meinen Horizont erweitern, mich Neuem öffnen,
wahrscheinlich bin ich tatsächlich zu eingefahren
und phlegmatisch.
Dennoch hört es sich interessant an und passt auch
ansatzweise zu Teilen meiner Ausbildung.
Mein Umfeld und meine Familie kann sich diese
neue Herausforderung durchaus für mich vorstellen…
alle sagen ‘mach das’.
Also bewerbe ich mich um einen Praktikumsplatz im
Anleiterbereich in einer Behindertenwerkstätte.
Weg von der Industrie hinein in ein ganz anderes
Metier und soziales Gefüge.
Ich gehe die Sache zwar mit gemischten Gefühlen,
jedoch ohne jegliche Vorbehalte oder gar Berührungs-
ängste an.
Und dann geschieht etwas, das ich mir hätte nie
träumen lassen.
Bereits nach der ersten Praktikumswoche entsteht
in mir der Wunsch, eine solche Arbeit auch in
Zukunft machen zu wollen.
Er festigt sich mit jedem neuen Tag, ich sehe mich
angekommen.
Aber wie soll das jetzt gehen?
Ich mache mich schlau, recherchiere und finde
Wege und Möglichkeiten, die mir Hoffnung machen.
Allerdings brauche ich hierzu die Unterstützung des
Arbeitsamtes, denn es bedarf einer speziellen
Fortbildung, die unerlässlich ist.
Bei einem Termin mit meiner inzwischen neuen und
etwas kompetenteren Bewährungshelferin spreche
ich mein Vorhaben an und siehe da, ich finde Gehör
und Verständnis……..es geschehen doch Wunder!
Also verfolgen wir jetzt gemeinsam diesem Plan und
ich finde durch Eigeninitiative, ohne die man zu nichts
kommt, einen Träger, bei dem ich im Dezember mit
der Fortbildung beginnen könnte.
Voller Erwartung und Hoffnung präsentiere ich meine
Ergebnisse und bete, dass es abgesegnet wird.
Irgendwie denke ich, die haben doch gar keine andere
Wahl….schubsen mich in diese Richtung, also können
sie mich jetzt ja nicht wieder ausbremsen.
Und tatsächlich, ich bekomme eine telefonische
Zusicherung der Kostenübernahme.
Nun steht noch ein persönliches Gespräch an und
die Anmeldung zum Kurs.

Ich bin voller Erwartungen…..

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Letzte Aktualisierung: 2014.11.11, 13:26
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